Berlin (AP) Es war im Bundestagswahlkampf 2002, als der damalige VW-Vorstand Peter Hartz mit großem Getöse seine Vorschläge für Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung übergab. Eine Halbierung der Arbeitslosenzahlen binnen weniger Jahre versprach der Manager. Das weckte Hoffnungen, die aber schnell zerstoben. Was passierte, war das genaue Gegenteil: Die Arbeitslosenzahl schnellte empor. Längst sind die Gewerkschaften über Hartz IV empört, die Arbeitgeber enttäuscht. Die «Jahrhundertreform» hat das Land gespalten.
Kern der Reform ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld
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II. Die Betreuung der Arbeitslosen wurde damit in eine Hand gelegt und sollte eine bessere Vermittlung gewährleisten.
«Hartz IV hat das gesellschaftliche Klima in diesem Land vergiftet», bilanzierte jüngst DGB-Chef Michael Sommer. Die Wohlfahrtsverbände meinten, außer weniger Geld habe die Reform den Menschen nichts gebracht. Fast sechs Millionen Menschen lebten inzwischen an der Armutsschwelle in Deutschland. Das Wort Unterschicht machte 2006 die Runde. 345 Euro monatlich gibt es für jeden Langzeitarbeitslosen; hinzu kommen Miet- und Heizkosten.
Im Zuge von Hartz IV wurde auch die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I herabgesetzt. Ein Jahr gibt es in der Regel die Versicherungsleistung, ehe die Menschen auf Hartz-IV-Niveau abrutschen. Die Arbeitsmarktreform wurde zum Synonym für den sozialen Abstieg, der alle Klassen und Schichten erfassen kann.
Mit Hartz IV gilt praktisch jede Arbeit als zumutbar. Gemäß dem Motto «Fordern und Fördern» müssen Arbeitslose fast jede Arbeit annehmen, wenn sie nicht ihre Leistungen verlieren wollen. Dazu gehören auch Jobs, die bis zu 30 Prozent unter dem ortsüblichen Lohn liegen. Gegen diese scharfen Regeln liefen die Gewerkschaften Sturm. Sie kritisierten, dass der Druck auf das allgemeine Lohnniveau zunehme und viele Unternehmen das ausnutzten. Bestärkt durch die Erfahrungen der Arbeitsmarktreform wurde ihr Ruf nach einem Mindestlohn lauter. 7.50 Euro Stundenlohn lautet die Gewerkschaftsforderung, mit der sie sich in guter Eintracht mit den westeuropäischen Nachbarn sehen. In insgesamt 18 von 25 EU-Staaten gibt es einen Mindestlohn.
Kurz nach Start der Arbeitsmarktreformen berief der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einen Ombudsrat. Dieser sollte die Umsetzung der Gesetze kritisch begleiten und Missstände ausfindig machen. Als im Sommer 2006 das Gremium - die ehemalige Familienministerin Christine Bergmann, Ex-Chemiegewerkschafter Hermann Rappe und der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf - seinen Abschlussbericht vorlegte, wurde offiziell, was vielen schon vorher klar war.
Als völlig unsinnig kritisierte der Ombudsrat die Strukturen der Arbeitsgemeinschaften, in denen es keine geregelten Verantwortlichkeiten gibt. «Der Vermittlungsausschuss hat bei der Einigung zu Hartz IV leider mehr Unheil als Vernünftiges hervorgebracht», sagte Biedenkopf. Normalerweise sollten örtliche Arbeitsagenturen und Kommunen gleichberechtigt die Arbeitslosen betreuen. In der Praxis gab es aber größte Schwierigkeiten.
Mit Hartz IV waren viele Irrtümer verbunden. So hatte die Regierung erwartet, dass 20 bis 30 Prozent der Arbeitslosen ihren Anspruch auf staatliche Unterstützung verlieren, entweder weil der Partner gut verdient oder sie noch Rücklagen haben. Die Zahl der so genannten Bedarfsgemeinschaften wurde mit 2,5 Millionen angegeben. Tatsächlich gab es aber 3,5 Millionen.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Hinzuverdienstgrenze für Arbeitslose. Von 400 Euro Verdienst können die Arbeitslosen 15 Prozent behalten. Die Devise war: Wer arbeitet, soll das auch im eigenen Portemonnaie spüren. In der Praxis wurden aber viele Jobs vor allem im Niedriglohnbereich unattraktiv. Im Zuge der Evaluierung von Hartz IV will die Regierung die Hinzuverdienstgrenzen deshalb nochmal genau unter die Lupe nehmen.
2006-12-26
20:53:12
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gefragt von
Anonymous