Buchkritik: Rüdiger Nehberg – Der selbstgemachte Häuptling
Erschienen: 1991, Ernst Kabel Verlag GmbH, Hamburg, ISBN 3-8225-0169-7
Rüdiger Nehberg versucht in seinem Buch über den selbstgemachten Häuptling Tatunca Nara nicht nur einen Mythos zu zerstören, sondern auch eine persönliche Rechnung zu begleichen. Er spielt darin sowohl die Rolle eines Staatsanwalts und Hauptanklägers als auch die eines Richters. Unabhängig davon, wie gut das gesammelte Datenmaterial geeignet sein mag, die Schuld des "Täters" zu beweisen, macht die Energie, mit der Nehberg diesen Mann verfolgt und zu belasten versucht, ihn selbst verdächtig. Das läÃt sich unschwer daran erkennen, zu welch unlauteren Mitteln der Auseinandersetzung er greift, um an seinem Gegner für irgendeine erlittene Unbill "Rache" zu nehmen. Selbst zu den Aussagen einer Wahrsagerin zu greifen scheut er sich nicht, um Tatunca Nara zu belasten. Vielleicht ist es nur die Beschuldigung, daà er, Nehberg, selbst der Mörder des ARD-Korrespondenten Karl Brugger sei, die ihn dazu treibt. Erstaunlich, wie wenig Nehberg in seinem Buch zu dieser Anschuldigung Stellung nimmt. In der Tat versucht er, den Exildeutschen Hauck in das nur denkbar schlechteste Licht zu rücken, angefangen damit, wie akribisch genau er alle seine Rechtschreib- und Grammatikfehler in den Vordergrund stellt, um ihn als den gröÃten Idioten schlechthin darzustellen. Es geht aus dem Buch auch nicht klar hervor, was Nehberg so sehr gekränkt haben mag, daà er weder Mühen noch Kosten scheut, sein Opfer als sein eigener Privatdetektiv zu verfolgen, so als wolle er mit dem Polizeipreis für die beste Kriminalistik ausgezeichnet werden. Es dürfte völlig unstreitig sein, daà Hansi Richard Günther Hauck sich nach Brasilien abgesetzt hat, um in Deutschland seiner Zahlungsverpflichtung als Vater dreier Kinder nicht nachkommen zu müssen. Klarer Fall, daà sein Lügengespinst, der Sohn eines Indianerhäuptlings und einer deutschen Nonne zu sein, frei erfunden ist, doch in seinem zweiten Leben kann man Tatunca Nara, zumindest was seine Qualitäten als Ehemann und Familienvater betrifft, jedenfalls nichts nachsagen, war er doch von seiner ersten Frau schon kurz nach der Hochzeit betrogen und danach geschieden worden.
Nehbergs SchluÃfolgerung, er habe den Amerikaner John Reed und den Schweizer Herbert Wanner aus Habgier umgebraucht und anschlieÃend mit den geraubten Schecks Geld vom Konto des letzteren abzuheben versucht, läÃt sich nicht beweisen. Ein Geldwechsler in Manaus, der einen von Wanners Schecks im Monat nach dessen Tod entgegennahm, konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob der Einreicher tatsächlich Tatunca Nara gewesen war. Zudem wäre fraglich gewesen, ob nicht Wanner selbst noch vor seinem Tod Tatunca Nara für erbrachte Leistungen einen Scheck ausgestellt hat. Nehberg hingegen behauptet, Wanners Unterschrift sei gefälscht gewesen. Ein Gutachten über deren Echtheit wurde indes nicht eingeholt. Nach Nehbergs kriminalistischem Instinkt ging dadurch ein wichtiges Beweismittel verloren, mit dem Günther Hauck des Mordes an Herbert Wanner hätte überführt werden können. Noch während der polizeilichen Vernehmung hatte Nehberg mit Ãberzeugung ausgesagt, daà er Hauck eines Mordes nicht für fähig halte. Zudem habe Hauck Wanner auch ausdrücklich gewarnt, sich in dem besagten Gebiet aufzuhalten. Dabei verschweigt das Buch ganz bewuÃt den Grund, warum die Warnung von Tatunca Nara ausgesprochen worden war. Herbert Wanner, ein zweiundzwanzigjähriger Förster aus der Schweiz, war mit Tatunca Nara eine Freundschaft eingegangen, die ihn nach Nehbergs Darstellung das Leben kostete. Hauck beteiligte sich an der Suchaktion nach Wanner, und nachdem er in einem zweiten Brief an die Eltern des Verstorbenen mehr wuÃte als im ersten, nimmt Nehberg dies zum AnlaÃ, ihn zu verdächtigen.
Hauck wird unterstellt, er habe seine Opfer getötet, um das Geheimnis, daà es Akakor und Akahim nicht gibt, nicht preisgeben zu müssen, denn wenn dieser Mythos zerstört worden wäre, wäre es mit seinen Einnahmen aus Führungen zu diesen Stätten erst einmal vorbei gewesen. Dabei bleibt anzuzweifeln, ob Hauck sich selbst ein groÃes Geschäft davon erwartet hätte. Es hätte gewià auch ohnedies Leute genug gegeben, die sich von ihm durch den Urwald führen lieÃen. Es gibt nämlich durchaus Beispiele, wo jemand mit Tatunca Nara zu den von ihm entdeckten Pyramiden unterwegs war und nicht von ihm getötet wurde. Ein Beispiel für eine glückliche Heimkehr liefert Ferdinand Sch. aus Gossau in der Schweiz, ein pensionierter Swissair-Pilot, der insgesamt achtmal mit Tatunca Nara unterwegs war. Sein Name durfte nicht veröffentlicht werden, weil Ferdinand Sch. mit den Beschuldigungen in Nehbergs Buch nicht einverstanden war oder in die Geschichte nicht hineingezogen werden wollte. Nehberg schiebt hier Tatunca Nara versuchten Mord in die Schuhe, weil er Sch., der allein weitergegangen war, nachstellte, um ihn angeblich während des Trinkens am Fluà zu töten. Ein Zufall wollte es, daà er sich gerade in dem Moment umdrehte, als Tatunca Nara angeschlichen kam, und das rettete ihm damals das Leben, so jedenfalls Rüdiger Nehberg. Also auch dahinter witterte er bei Hauck ernsthafte Mordabsichten. So spricht er in seinem Buch bereits konkret von einen "halben Mord." In Wahrheit dürfte es aber so gewesen sein, daà Tatunca Nara plötzlich kalte FüÃe bekommen hatte, daà er Sch. alleine weitergehen lieÃ, ohne sich von ihm ein Schriftstück geben zu lassen, daà er allen Warnungen zum Trotz nicht auf ihn gehört habe. Schon eher liegt da die Erklärung auf der Hand, daà ihm von den Behörden zur Auflage gemacht worden war, seine Touristen nicht hilflos sich selbst zu überlassen, wenn er seine Lizenz als Tourist Guide nicht aufs Spiel setzen wollte. John Reeds Gebeine wurden erst im Februar 1989 gefunden. Zu seinen sterblichen Ãberresten wurde Ferdinand Sch. von Tatunca Nara höchstpersönlich geführt. Er soll laut Aussage durch einen Pfeilschuà in den Kopf getötet worden sein, weil er sich an einem Indianermädchen vergehen wollte. Später dementierte Hauck diese Geschichte als eine Notlüge, die er gebrauchen muÃte, um Ferdinand Sch. davon abzubringen, weiterhin nach Akahim zu forschen. Die Knochen seien auÃerdem Wildschweinknochen gewesen, die Hängematte seine eigene, und die Sache mit der Vergewaltigung sei frei erfunden gewesen. Bei seinen Aussagen, die sich von denen des John Reed, wie aus dessen letzten Briefen hervorgeht, unterschieden, hat Tatunca Nara natürlich abermals gelogen, aber wohl aus Angst, daà man ihm vorwerfen könnte, Reed sei aufgebrochen, weil er an die versunkene Stadt geglaubt habe, und das mit seinem Leben bezahlen muÃte. Er log sicher nicht deswegen, wie Nehberg meint, damit man ihm keinen Mord nachweisen konnte.
Im Mordfall des ARD-Korrespondenten Karl Brugger sinnt Nehberg über allerlei Gründe nach, warum Hauck ihn umgebracht haben könnte, deren plausibelster der seiner Entlarvung als Lügner ist. Deswegen habe er Brugger, um die Legende von Akahim nicht zum Aussterben zu bringen, durch einen angeheuerten Killer beseitigen lassen, und weil Brugger sich wie Tatunca Nara eine Schildkröte auf die Brust hatte tätowieren lassen. Wohin auch sollte ein gedungener Mörder zielen, wenn nicht auf die linke Brust? Bedauerlich nur, daà die Tätowierung ausgerechnet über dem Herzen saÃ. Einen weiteren Belastungsgrund, den Nehberg sich ausdenkt: Brugger wollte gemeinsam mit Roland Stephenson dazu aufbrechen, um die Pyramiden und Akahim auf eigene Faust zu entdecken, und darum muÃte er ausgeschaltet werden. Weitere Gründe für Bruggers Ermordung seien gewesen, so Nehberg, daà Tatunca Nara, der ja der eigentliche Urheber der Chronik von Akakor ist, plötzlich auf Buch-Tantiemen Anspruch erhob, und als er sie nicht bekam, muÃte Brugger sterben. Nun, wer tötet schon seinen Brötchengeber? Hätte der Mörder nicht wissen können, daà er nach seinem Ableben gänzlich leer ausgehen würde? Und was, wenn man den Täter nun fassen würde? Bruggers Nachfolger Ulrich Encke war der einzige Tatzeuge, und der gab an, daà dies die Tat eines Anfängers war, der abdrückte, als Brugger in seine Brusttasche griff, um die Geldbörse zu zücken, weil der Mörder diese Bewegung falsch interpretierte.
Das spurlose Verschwinden der schwedischen Staatsbürgerin Christine Heuser, die eine Liebesaffäre mit Günther Hauck hatte, erklärt Nehberg selbstverständlich auch mit ihrer Ermordung durch ihn, obwohl er dafür keine Beweise vorlegen kann, sondern höchstens ein paar Indizien gefunden zu haben glaubt. Christine Heuser, so Rüdiger Nehberg, sei ihrem Idol und Mann aus einem früheren Leben, wie sie ihn nannte, nachgereist. Weil aber Hauck verheiratet gewesen sei und seiner Frau treu bleiben wollte, habe er sie, nicht weil sie geheiratet werden wollte, wie Nehberg behauptet, sondern weil sie sich gestritten hatten, von Bord seines Schiffes gejagt, und danach sei sie nie mehr aufgetaucht. Aus der Tatsache, daà Hauck sich irgendwie für ihren Tod verantwortlich fühlt, schlieÃt Nehberg, daà er sie auch umgebracht haben muÃ. Wahrscheinlich ist sie ihm aber nur nachgereist und dabei im Dschungel, in dem sie sich verlief, umgekommen.
Was Nehberg in seinem Buch scheinbar bewuÃt und für den unbedarften Leser leicht zu übersehen verfälscht ist die Tatsache, daà er die vorausgehende Entdeckung der Pyramiden an späterer Stelle einfügt als den Tod John Reeds, dessen vorletzter Brief auf den 8. Dezember 1980 datiert. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Pyramiden bereits entdeckt. Herbert Wanners Tod fällt auf den Dezember 1983. Auch die Ermordung Bruggers am Neujahrtag 1984 datiert erst Jahre nach dieser Entdeckung. Christine Heusers Verschwinden fällt irgendwann zwischen Juni und August 1987. Alle diese Menschen hätten den Ruhm, die ersten gewesen zu sein, denen Tatunca zumindest die Pyramiden gezeigt hätte, nicht mehr einheimsen können. Akahim, wofür sie hatten sterben müssen, John Reed am Rio PadauirÃ, Herbert Wanner am Rio Aracá, liegt nur ein bis zwei Tagereisen von den Pyramiden entfernt. Der einzige, der je in ihre Nähe kam, war Ferdinand Sch.
Es gab auch Stimmen, die sich für Tatunca Nara verwendeten, so etwa Werner Römer aus Gunzenhausen und ein gewisser Wolfgang Gallus aus GroÃholbach, die beide unerschütterlich an seine Lügengeschichten glaubten. Ein anderer, kein geringerer als Padre Pedro, Chef der Salesianer-Mission in Barcelos, meinte Nehberg gegenüber sogar, daà dieser ihm Unrecht tue. Der von Nehberg als realitätsfremd bezeichnete Pater scheint aber offenbar die bessere Menschenkenntnis besessen zu haben. Gute Kritiken erntete Tatunca Nara auch von dem damaligen amerikanischen Konsul in Manaus, Fish. Der machte John Reeds Familie sogar Hoffnung, daà dieser noch irgendwo im Urwald lebe. Auch wenn diese Menschen vielleicht nicht ernst zu nehmen sind, so ist dennoch die SchluÃfolgerung Nehbergs: wer lügt, der mordet auch, keinesfalls zulässig, gab doch einer der Betreffenden an, weder Bekannte noch seine Frau hätten je das Gefühl gehabt, einem Mörder gegenüberzusitzen. Auch Nehbergs literarische Bildung: zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, hilft hier bedauerlicherweise nicht weiter. Der Anthropologe Siegfried Sch. aus Freiburg, ein Freund Ferdinand Sch.s, äuÃerte sich empört über den Versuch Nehbergs, aus der Geschichte bloà Kapital schlagen zu wollen.
Am Ende der Lektüre von Kommissar Nehbergs Ermittlungen soll der Leser den Eindruck gewinnen, Tatunca Nara sei im Sinne der Anklage schuldig und nur deswegen nicht verurteilt worden, weil er von hochrangigen brasilianischen Militärs gedeckt wurde. 1972 nämlich soll Tatunca Nara bezahlter Söldner der Regierung gewesen sein und in seiner Eigenschaft als Waldläufer im Bundesstaat Acre Militärpatrouillen gegen Indianer geführt haben. Ob er dabei auch auf Indianer geschossen hat, d.h. ob er töten lernte, wie Nehberg uns suggerieren will, bleibt allerdings fraglich. Gedeckt worden sein könnte Tatunca Nara in der Tat von einem gewissen General Thaumaturgo, der ihn kannte, als er noch Agent des brasilianischen Staatssicherheitsdienstes SNI war, aber auch das bleibt reine Spekulation. Allein die Expeditionen und Reportagen von Dieter Kronzucker, Franz Tartarotti und Jacques Cousteau, der ganze Rummel, der dabei durch die Presse ging, hätten schon soviel internationalen Wirbel erzeugt, daà die brasilianische Regierung stark unter Druck geraten wäre, wäre an dieser Sache etwas dran gewesen.
Eine offene Frage in dem Buch bleibt, was aus dem Projektil geworden ist, welches ein Loch in Herbert Wanners Schädel geschlagen hat, und was das Untersuchungsergebnis durch Vergleich mit Tatunca Naras Gewehrlauf, der sogenannten Tatwaffe, ergeben hat. Es wird nämlich lediglich gesagt, daà dieses Projektil spurlos verschwunden sei. Ob es dieses wirklich gegeben hat oder ob jemals danach gesucht wurde, und falls nicht warum, beantwortet das Buch nicht.
Nehberg, der sich illegal bei den Yanomami aufgehalten und sich in der Presse einen groÃen Namen als "Würmerfresser" gemacht hat, und seiner Frau Maggy war anwaltlich untersagt worden, bei Androhung von Strafe nicht mehr zu behaupten, Tatunca Nara habe die drei Morde gestanden. Ãberhaupt hat Nehberg mehr in die Sache investiert als er dafür geerntet hat, nicht mehr jedenfalls als einen bescheidenen Bucherfolg. Vielleicht hat er dabei aber gelernt, daà man einen Menschen nicht des mehrfachen Mordes beschuldigen kann, wenn ihm die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann und dazu nicht bessere Beweise vorliegen als bloÃe Ungereimtheiten und Widersprüche in mündlichen Aussagen und in Briefverkehr. Eines aber wird man ihm zugute halten können, daà er die Legende von Akakor und Akahim ihres Zaubers beraubt hat. Was die rätselhaften Pyramiden betrifft, so wurde dieses Geheimnis von einem gewisser Roldão gelüftet. Zunächst mit Tatunca Nara unterwegs, verletzte er sich bei dieser Expedition durch einen SteckschuÃ. Wieder genesen, überflog und fotografierte er drei Hügel, die erstaunlich regelmäÃige Seitenflächen aufwiesen. Der Pilot schätzte sie auf zweihundert Meter Höhe, damit überträfen sie sogar die Cheops-Pyramide um rund fünfzig Meter. Am 1. August 1979 erschien ein groÃer Farbbericht über Roldãos Entdeckung in der angesehenen brasilianischen Zeitschrift VEJA. Hinzugezogene Fachleute stuften das Gebilde als rein geologische Formation ein. Damit wurde ein Mythos zerstört. Akakor und Akahim sind nicht existent, dies bewiesen zu haben, ist Nehbergs Verdienst. Allein, daà die Erfindung eines im verborgenen lebenden Indianervolks und einer unterirdischen stadtähnlichen Anlage im Amazonasgebiet dem Hirn eines ungebildeten Aussteigers entsprungen sein soll, ist nicht glaubhaft, weil nahezu alle Legenden immer auch ein Körnchen Wahrheit beinhalten.
Anne
2006-12-24 02:38:28
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answer #7
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answered by Anne 7
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