Emser Depesche
Gedenkstein an die Emser Depesche in Bad EmsDie Emser Depesche war ein schriftlicher Bericht über die Verhandlungen König Wilhelms I. mit dem französischen Botschafter Vincent Benedetti in Bad Ems. Bismarcks Veröffentlichung einer redigierten Version der Emser Depesche diente Frankreich als Vorwand zur Erklärung des deutsch-französischen Krieges im Sommer 1870.
Hintergrund
1868 war in Spanien die korrupte Königin Isabella II. gestürzt und damit der Thron vakant geworden. Juan Prim, Ministerpräsident von Spanien und einer der Anführer des Aufstandes, trat daraufhin 1869 an die Familie von Hohenzollern-Sigmaringen, die katholische Linie des Hauses Hohenzollern, heran und trug dem Erbprinzen Leopold (1835-1905) die spanische Krone an. 1870 wandte er sich in dieser Angelegenheit auch offiziell an König Wilhelm I. von PreuÃen, das Oberhaupt des Gesamthauses Hohenzollern. Prinz Leopold erklärte seine Bereitschaft zur Kandidatur am 19. Juni 1870, Wilhelm gab seine Zustimmung zwei Tage später. Die Thronbesteigung durch einen Hohenzollern hätte für das ebenfalls hohenzollerisch regierte PreuÃen und damit für den norddeutschen Bund auÃenpolitisch vorteilhaft sein können, zumal so eventuell eine zukünftige spanisch-deutsche Personalunion in Aussicht gestanden hätte. Deswegen förderte der preuÃische Ministerpräsident Otto von Bismarck diese Entscheidung.
Am 2. Juli wurde die Kandidatur in der französischen Presse bekannt. Die französische Regierung unter Ministerpräsident Ollivier und Kaiser Napoléon III., die nicht informiert worden war, befürchtete in dieser Situation eine auÃenpolitische Umklammerung und einen deutschen diplomatischen Triumph und opponierte daher energisch gegen die Annahme. AuÃenminister Gramont erklärte am 6. Juli vor der Chambre législative, dass Frankreich eine solche Entwicklung nicht hinnehmen und, sollte es doch dazu kommen, ohne Zögern seine Pflicht tun werde; eine kaum verschleierte Kriegsdrohung:
La France ne tolérerait pas l’établissement du prince de Hohenzollern ni d’aucun prince prussien sur le trône espagnol. Pour empêcher cette éventualité, il [le gouvernement] comptait à la fois sur la sagesse du peuple allemand et sur l’amitié du peuple espagnol. S’il en était autrement, fort de votre appui et de celui de la Nation, nous saurions remplir notre devoir sans hésitation et sans faiblesse.
Zu deutsch:
Frankreich wird nicht dulden, dass der Prinz von Hohenzollern oder sonst irgendein preuÃischer Prinz den spanischen Thron besteigt. Um diesen möglichen Fall zu verhindern, zählt die Regierung zugleich auf die Klugheit des deutschen Volkes und auf die Freundschaft des spanischen Volkes. Sollte es jedoch anders kommen, so wüssten wir kraft Ihrer (der Abgeordneten) Unterstützung und derjenigen der Nation ohne Zögern und ohne Schwäche unsere Pflicht zu tun.
Dieser und andere französische Proteste hatten schlieÃlich Erfolg: Am 12. Juli gab Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, Leopolds Vater, den Verzicht seiner Familie auf die spanische Königswürde bekannt.
Dies war zwar, oberflächlich betrachtet, ein auÃenpolitischer Erfolg für Frankreich, jedoch kein sehr durchschlagender. In der französischen Ãffentlichkeit konnte – vollkommen zu Recht – der Eindruck entstehen, dass der Druck der französischen Regierung zwar auf die Familie von Hohenzollern-Sigmaringen gewirkt hatte; PreuÃen als der eigentliche Antagonist Frankreichs hatte jedoch keine Konzessionen machen müssen. Das Kabinett Ollivier, durch eine Serie unrühmlicher auÃenpolitischer Niederlagen ohnedies unter Erwartungsdruck der Ãffentlichkeit, versuchte deshalb, Wilhelm I. als Oberhaupt des Hauses Hohenzollern und König von PreuÃen ein eindeutiges Bekenntnis abzuverlangen. Wilhelm I. hielt sich zur Kur in Bad Ems auf, und der französische Botschafter in PreuÃen, Vincent Benedetti, war ihm dahin nachgereist. AuÃenminister Gramont, der mit dem Botschafter in ständigem telegraphischen Kontakt stand, beauftragte ihn deshalb, von König Wilhelm I. zu verlangen, dass er die Rücknahme der Kandidatur ausdrücklich billige, und dass er auch einschreiten werde, wenn die Hohenzollern doch wieder auf die Kandidatur zurückkämen. Er stellte dies als ein natürliches, gerechtfertigtes Ansinnen dar: Der Hohenzollersche Rückzug sei für Frankreich ja wenig wert, wenn die Hohenzollern sich jederzeit wieder um den spanischen Thron bewerben könnten; würde sich dagegen Wilhelm I. verpflichten, seine Autorität als Haupt des Gesamthauses Hohenzollern einzusetzen, um dies zu verhindern, so wäre diese Zusicherung für Frankreich von enormem Wert; dagegen sei es für den König ein Geringes, wenn er den Rückzug tatsächlich billige und keine Hintergedanken habe, diese Zusicherung abzugeben.
Emser Audienz
Gramont telegraphierte diese Instruktionen am 12. Juli abends an Benedetti. Dieser war aus Paris bereits über den Rückzug der Hohenzollern informiert, wartete aber darauf, dass Wilhelm I. auch selbst Nachricht von seinen Verwandten aus Sigmaringen erhielt. Sobald diese eintraf, wollte der König ihn empfangen; aufgrund der neuen Forderung wartete Benedetti dies jedoch nicht ab, sondern versuchte sofort am Morgen des 13. Juli eine Audienz zu erhalten. Der König war bereits zu einem morgendlichen Spaziergang aufgebrochen, und Benedetti suchte ihn auf der Kurpromenade auf.
Die nun von Benedetti vorgebrachte neue Forderung lehnte Wilhelm kategorisch ab, da er es nicht verantworten könne, eine Zusage für alle Zukunft zu treffen; vielmehr wollte er sich vorbehalten, sollte die Situation später einmal erneut eintreffen, wie in allen anderen Dingen auch die Umstände in Betracht zu ziehen und erneut zu entscheiden. Davon abgesehen war die Nachricht aus Sigmaringen immer noch nicht eingetroffen. Diese traf erst im Laufe des Tages in Form eines Briefes von Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen ein. König Wilhelm lieà Benedetti durch seinen Adjutanten Fürst Radziwill mitteilen, dass die Nachricht offiziell bestätigt sei. Eine Bitte Benedettis um eine erneute Audienz lieà er zurückweisen mit der Begründung, dass er, soweit es das Garantieversprechen beträfe, sein letztes Wort gesprochen habe.
Bismarcks enger Mitarbeiter Heinrich Abeken, der den König in Bad Ems begleitete, notierte noch am selben Tage Wilhelms Bericht über die Ereignisse und telegraphierte diesen an den Ministerpräsidenten. Dieser Brief war die eigentliche Emser Depesche, die dann in Bismarcks Version in die Geschichte einging. Er hatte folgenden Wortlaut:
Seine Majestät der König schreibt mir:
„Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisiren, sofort zu telegraphiren, dass ich für alle Zukunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Candidatur zurückkämen.
Ich wies ihn zuletzt, etwas ernst, zurück, da man à tout jamais dergleichen Engagements nicht nehmen dürfe noch könne.
Natürlich sagte ich ihm, dass ich noch nichts erhalten hätte und da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, dass mein Gouvernement wiederum ausser Spiel sei.”
Seine Majestät hat seitdem ein Schreiben des Fürsten bekommen.
Da Seine Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, dass er Nachricht vom Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe, mit Rücksicht auf die obige Zumuthung, auf des Grafen Eulenburg und meinen Vortrag, beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen, sondern ihm nur durch einen Adjutanten sagen zu lassen: dass Seine Majestät jetzt vom Fürsten die Bestätigung der Nachricht erhalten, die Benedetti aus Paris schon gehabt, und dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe.
Seine Majestät stellt Eurer Excellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedetti’s und ihre Zurückweisung sogleich, sowohl unsern Gesandten, als in der Presse mitgetheilt werden sollte.
Die Veröffentlichung der Depesche
Dieses Telegramm erreichte Bismarck während eines Essens am 13. Juli, zu dem er Roon und Moltke geladen hatte. Bismarck las das Telegramm seinen beiden Gästen vor, "deren Niedergeschlagenheit so tief wurde, daà sie Speise und Trank verschmähten".
Daraufhin redigierte und kürzte Bismarck das Telegramm stark, und las diese gekürzte Fassung ebenfalls seinen Gästen vor. Sie lautete wie folgt:
Nachdem die Nachricht von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich Französischen Regierung von der Königlich Spanischen amtlich mitgetheilt worden sind, hat der Französische Botschafter in Ems an S. Maj. den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, dass er nach Paris telegraphire, dass S. Maj. der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten.
Seine Maj. der König hat es darauf abgelehnt, den Franz. Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, dass S. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzutheilen habe.
Aus dieser neuen Fassung ging nicht mehr hervor, dass König Wilhelm I. eine Unterredung mit dem französischen Botschafter gehabt und ihm seine Ablehnung erläutert hatte; lediglich die französische Forderung und die Verweigerung einer weiteren Audienz wurden in knappen Worten berichtet.
Durch diese Kürzungen konnte die Meldung leicht den Eindruck erwecken, Benedetti sei in Bad Ems in ungebührender Weise aufgetreten, und weitere diplomatische Kontakte seien vom König abgelehnt worden.
Sofort schlug die Stimmung Roons und Moltkes von Niedergeschlagenheit in lebhafte Freude um. Bismarck erläuterte seinen Gästen, dass die sofortige Veröffentlichung seiner Version "den Eindruck des rotes Tuches auf den gallischen Stier machen" würde, der nun schlagen müsse, und dann als Angreifer dastehe. Roon wollte unbedingt noch das Heer in den Krieg führen. Roon sagte wörtlich: "Wenn ich das noch erlebe, in solchem Kriege unsere Heere zu führen, so mag gleich nachher die alte Carcasse der Teufel holen."
Vor der Freigabe des Textes an die Presse erkundigte sich Bismarck noch bei General Moltke nach dem Stande der Rüstung. Er wollte wissen, wie viel Zeit zur Vorbereitung eines erfolgreichen Krieges notwendig sei. Moltke hielt den schnellen Ausbruch eines Krieges im Ganzen für vorteilhafter, als eine Verschleppung.
Bismarck gab der Presse diese gekürzte Fassung zur Veröffentlichung frei, die noch am 13. Juli von der regierungsnahen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung” in einer Sondernummer veröffentlicht wurde.
Französische Reaktion
Die französische Ãffentlichkeit reagiert auf die Veröffentlichung durchaus bereitwillig mit der von Bismarck einkalkulierten Empörung. Gelegentlich heiÃt es, dass auch beispielsweise „Adjutant” nicht korrekt als „aide de camp”, sondern wörtlich als „adjutant” (Feldwebel) übersetzt worden sei. Ob dies tatsächlich der Fall war, sei dahingestellt, in jedem Fall konnte Bismarcks Darstellung den Eindruck erwecken, dass PreuÃen die Forderung Frankreichs, die der französischen Ãffentlichkeit gerecht erscheinen musste, als unverschämt empfand und brüsk zurückgewiesen hatte. Vorsicht ist sicher davor angebracht, in Bismarcks Darstellung und insbesondere ihrer Form den einzigen Kriegsauslöser auszumachen, etwa dahingehend, dass Frankreich „nach den damaligen Ehrenvorstellungen” nicht anders als durch Kriegserklärung hätte antworten können, um sein Gesicht nicht zu verlieren, oder dergleichen. Auch ohne Bismarcks Veröffentlichung hätte sich ja die Frage gestellt, wie die französische Regierung auf die Zurückweisung ihrer Forderung reagieren sollte; die Kriegsdrohung stand noch im Raum, und war auch ernstgemeint, nicht zuletzt deshalb, weil die Franzosen ihre Erfolgsaussichten im Kriegsfall drastisch falsch einschätzten. Da die französische Ãffentlichkeit noch gar nichts von der neuen Forderung wusste, hätte aber auch die Möglichkeit bestanden, den Misserfolg in Stille hinzunehmen. Durch Bismarcks Pressemitteilung war dieser Weg versperrt, und ebenso die Möglichkeit, die Darstellung noch irgendwie zu schönen.
Die von Bismarck erhoffte Kriegserklärung Frankreichs an PreuÃen erfolgte fünf Tage später, am 19. Juli 1870.
2006-10-22 09:54:16
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answer #4
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answered by Leony 7
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