Max selber ist verschollen, aber hier eine Nachricht seiner Kumpel:
Die passive Mehrheit begnügte sich mit Maulaffenfeilhalten, Gafferei, Grinsen, Kopfschütteln, sobald der Naturprophet einsam, im härenen Gewande, oder mit Gefolge aus Familienmitgliedern und Malschülern, irgendwo in München auftauchte, wobei Malschüler fließend in Schüler seiner Lehre und Lebensanschauung übergingen. Einer dieser, Albertin Gold, seit 1892 für Max Zuckriegl begeistert, trug in einem Brief an seine Eltern die Worte seines Meisters recht unverwässert weiter, auch in Gestus und Duktus, bis hinein in kleinste sprachliche Details:
»Unser Essen besteht nicht aus gesottenen oder gebratenen Leichenfetzen gemordeter Tiere, welche Gott gerade so geschaffen hat wie uns Menschen, zu Freude und Genuss des Lebens, nicht aber zu einem Raubtierfraß für das Ebenbild Gottes, den Menschen. Das Fleischessen ist ein Verbrechen gegen Gott, den allgütigen Schöpfer und Vater allen Lebens, und ist die Ursache von allen Krankheiten, Siechtum und Elend, vorzeitigem und schmerzhaftem Tod, Armut, Unsittlichkeit, Trunkenheit und dergleichen anderem Laster, kurz, von allem Übel, welches die Erde aus einem Paradies in ein Jammertal verwandelt hat und täglich noch mehr verwandelt.«
So genannter »gutmütiger Spott« gebar ab 1884 den Einfall, eine relativ unparteiliche Karrikatur scherzweise auf die Servietten etlicher Gasthäuser zu drucken: Zuckriegl und ein Wirt mit eigener Hausschlachtung begegnen sich auf Augenhöhe, der eine mit blutiger Gummischürze, ein frischgewetztes Schlachtermesser auf dem Rücken verbergend, den Dolch im Gewande, und der Kohlrabi-Apostel eine Karotte, die er dem Vertreter des Metzgereigewerbes idealistisch überreicht, ohne eine Wurst dafür einzutauschen. Hier stießen Welten und Klüfte aufeinander, Weltverbesserung und Wurstmaschine, Eckpunkte der Gesellschaft, ohne Zwischenstufen und Pufferzone. Zuckrieglsympathisanten sahen Zuckriegel als Menschen und den Fettsack als Barbaren; Barbaren sahen den Fleischer als einen mit beiden Beinen auf der Erde stehenden, ortsansässigen Realisten, den Exoten aber als idealistischen Wolkenkuckuck. Vegetarier sahen den Kalbshaxenfresser als Kannibalen und den Reformenverkünder als Geistesgröße vom Range Graf Leo Tolstois, und den tumben Metzger als Erdenkloß in Lederhosen, und Kannibalen sahen den missionierenden Möhrenüberreicher als Körnerfresser.
Im angelsächsischen Sprachraum gehören heutzutage immerhin 20 Prozent der beafsteak, bacon and eggs essenden Bevölkerung zur rühmlichen Speerspitze der Vegetarier; doch im Land des deutschen Michels kam die hilflose Statistik nie über 5 bis 7 Prozent Vegetarier hinaus. Zu Zuckriegls Zeiten sah das Missverhältnis zwischen den uferlosen Fleischmassen fleischessender Gesellschaftsmitglieder und den Vegetariern noch viel krasser aus.
1804 schrieb Schiller den »Alpenjäger« eine Ballade im Volksliedton, mit Lämmchen und Blütengras, und schon flackerte knäbische Jagdlust auf. Idyllensprengung, und der Knabe ging, zu jagen, trieb eine Gazelle in die Enge, die aber oben im Gebirge Schutz fand beim »Geist, dem Bergesalten«, der den wilden Jäger alsdann mit dem berühmten Zitat beschämte und belehrte: »Raum für alle hat die Erde.« Vertont von Franz Schubert, und dann, 1895, ins Farbliche und Bildliche transponiert von Max Zuckriegl. 1902 entstand eine zweite Fassung, mit noch viel volltönenderem Titel: »Du sollst nicht töten!«
2006-08-19 20:42:58
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answer #1
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answered by Captain Jakob Sperling 3
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