Nero war weder hässlich noch ein Bösewicht. Er brannte Rom nicht nieder, aber er baute es wieder auf - schöner und moderner, als es je gewesen war. Keine historische Gestalt hat eine schlechtere Presse gehabt als der römische Kaiser. Christliche Autoren behaupten sogar, er sei der Antichrist in Person gewesen.
In Wahrheit aber war Nero ein bedeutender Staatsmann. Während der vierzehn Jahre seiner Herrschaft erlebte das Römische Reich eine Zeit des Friedens, der Blüte, eines wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs, wie es ihn weder vorher noch nachher gegeben hat. Die seriöse Geschichtsschreibung weià längst, dass nicht der mordgierige, perverse Nero Rom in Brand setzte und den pyromanischen Exzess mit Freudengesang begleitete, doch das breite Publikum sieht ihn noch immer als Monster sondergleichen. Nicht Nero war der erste Christenverfolger in groÃem Stil, sondern der vielgerühmte Philosoph auf dem Kaiserthron, Marc Aurel. Und Nero verfolgte nicht die Christen generell, sondern lieà nur diejenigen anklagen, die vermutlich zu den Brandstiftern gehörten.
Zweifellos war er megaloman, ein Visionär, ein Exhibitionist, ein unheilbarer Narzisst und höchstwahrscheinlich psycholabil, erdrückt erst von der herrschsüchtigen, oppressiven Mutter und dann von der ungeheuren Last, die dem erst Siebzehnjährigen mit der Herrschaft über ein Weltreich aufgeladen wurde. Eins indessen ist sicher: Dieser Kaiser, der zugleich Kitharöde war, Sänger, Dichter, Schauspieler, Schriftsteller, Rennfahrer, voll unstillbarer Wissbegierde in bezug auf Naturwissenschaft und Technik, der Förderer kühnster Forschungsreisen, der Initiator grandioser Projekte, dieser Kaiser war einzigartig nicht nur in der Geschichte des Römischen Reiches. Die wirtschaftlichen und intellektuellen Eliten seiner Zeit verstanden ihn nicht, oder sie verstanden ihn nur zu gut und bekämpften ihn deshalb erbittert. Die Senatoren, weil sie ihre Macht gefährdet sahen, ihre Reichtümer, ihr süÃes Nichtstun; und die Intellektuellen, weil sie als brave Kleinbürger nur das eine sich zu allen Zeiten gleichbleibende Ziel kannten: in den Kreis der Aristokraten aufzusteigen und an ihren Privilegien teilzuhaben.
Einführung: Die Nero-Legende
Wie kamen christliche Schriftsteller wie Vittorinus, Commodianus und Sulpicius Serverus darauf, in Nero den Antichristen zu sehen? Warum glaubten sie gar, dass er zu gegebener Zeit wiederkehren würde? Sie zogen ihre Erkenntnisse aus der Offenbarung des Johannes.
„Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666.”
Mit diesem Satz sind im Laufe der Geschichte immer wieder Menschen diffamiert worden. Wie in letzter Zeit einige Christen gar behaupten, der BAR-Code würde die Zahl des Tieres enthalten. Bei Nero ergaben die hebräischen Zahlenzeichen seines Namens addiert 666. Während des gesamten Mittelalters, sogar noch Ende des 19. Jh., wurde der Legende vom Antichristen Nero weithin Glauben geschenkt. Daraus erwuchsen zahlreiche Abstrusitäten. Ein Papst lieà z.B. den Baum auf Neros Grab fällen und dort eine Kapelle bauen, weil er die dort nistenden Raben für Dämonen hielt.
Christen hegen noch heute eine starke Abneigung gegen Nero, da sie ihn für den ersten Christenverfolger halten. Sueton und Tacitus lieferten ihnen da auch die passenden Belege. Allerdings haben die christlichen Historiker dabei den Hintergrund dieser beiden Autoren nicht beachtet. Sueton war ein Sammler von Skandalgeschichten, deren Wahrheitsgehalt recht fraglich ist. Tacitus gehörte der Klasse von Senatoren und GroÃgrundbesitzern an, die Nero politisch bekämpfte. Man kann Tacitus' Ausführungen also als Propaganda ansehen.
Aber bei Nero nimmt es die christliche Geschichtsschreibung nicht so genau. Alles, was Sueton und Tacitus über seine Schandtaten schreiben, wird unweigerlich für bare Münze genommen. Wenn sie jedoch auch den Christen jede Art von Schändlichkeit zuschreiben („wegen ihrer Schandtaten verhasst”, so Tacitus), dann allerdings wird ihre Glaubwürdigkeit als Quelle in Frage gestellt. Aber genau diese Sicht der Dinge hat sich in den Schulen breitgemacht. Wenn dagegen von Kaiser Konstantin die Rede ist, der das Christentum zur Staatsreligion machte, wird bewusst verschwiegen, dass er seinen Sohn und seine Frau umbringen lieÃ.
Vollkommen ruiniert wurde das heutige Ansehen Neros durch Filme wie „Quo vadis?” Wen Film und Fernsehen als blutrünstiges Ungeheuer darstellen, wird seinen Ruf so schnell nicht mehr los. Die moderne Geschichtsschreibung zeichnet dagegen ein ausgewogeneres Bild Neros. Neben Mario Attilio Levi waren es vor allem englische, französische und rumänische Historiker (das bedeutendste Nero-Forschungszentrum befindet sich in Bukarest), die Neros Leistungen und seine Person einer kritischen Ãberprüfung unterzogen. Durch Quellenkritik und Betrachtung der tatsächlichen Auswirkungen von Neros Politik kommen sie zu einem den gängigen Einschätzungen vollkommen entgegengesetzten Bild des Kaisers. Das einfache Volk verstand und liebte ihn heià und innig. Seine Beliebtheit war so groÃ, dass im Gegensatz zur negativen Nero-Legende bei seinem Tod im Volk eine positive Legende entstand.
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Neros Jugend bis zur Thronbesteigung
Nero wurde als Lucius Domitius am 15. Dezember 37 in Antium geboren. Sein Vater Gnaeus Domitius gehörte zum plebejischen Adel. Seine Mutter Agrippina war mit dem Reichsgründer Augustus verwandt. Vom Stammbaum her wäre Nero ohne den Ehrgeiz seiner machtbesessenen Mutter niemals Kaiser geworden. Kalt, skrupellos und berechnend verfolgte sie dieses Ziel. Einer seiner Lehrer war Chairemon, ein ägyptischer Priester, der zum Stoizismus übergetreten war. Er hatte früher das Museum in Alexandria geleitet, historische und astrologische Werke verfasst und war Kenner der Archäologie. Als zweiter Lehrer hatte der Aristotelesschüler Alexander von Aegae groÃen Einfluss auf Nero. Diese beiden führten ihn zu jener Art von Philohellenismus, der später zum Leitmotiv seiner Politik wurde.
Als Nero 12 Jahre alt war, wurde schlieÃlich noch Seneca, der renommierteste Intellektuelle seiner Zeit, engagiert. Der Philosoph hatte groÃen Einfluss auf den jungen Nero, allerdings nur soweit Agrippina, die alles kontrollierte, das zulieÃ. Sie machte Seneca klar, dass er sich nicht zu sehr auf Philosophie konzentrieren solle, weil das für einen zukünftigen Kaiser ihres Erachtens nicht angemessen war. Nero aber gefiel die Philosophie so sehr, dass er später als Kaiser den Diskussionen der bei Hofe geladenen Philosophen lauschte. In seiner Jugend beschäftigte sich Nero vor allem mit Musik, Kunst, Literatur und Theater, interessierte sich für Wagenrennen und Zirkusspiele.
Als der damalige Kaiser Claudius im Jahr 48 Witwer wurde - er hatte seine Frau ermorden lassen - kam Agrippina ihrem Ziel ein Stück näher. Sie wurde von Claudius zur neuen Gattin gewählt. Neros Vater war früh gestorben. Als nächstes brachte sie Claudius dazu, seine 8-jährige Tochter Octavia mit dem 12-jährigen Nero zu verloben. Da Claudius' einziger Sohn Britannicus gesundheitlich schwach war - er litt an Epilepsie -, lies er sich dazu überreden, Nero im Jahr 50 zu adoptieren. Im Jahr 53 heiratete Nero seine junge Braut. Damit der Thronbesteigung Neros nichts mehr im Wege stand, beschloss Agrippina - wahrscheinlich mit Unterstützung Senecas -, ihren Gatten zu vergiften. Claudius starb am 12. Oktober 54.
Einen Tag später bestieg Nero den Thron. Er galt allgemein als herzlich, umgänglich, geistreich und intelligent und bestand die Prüfung der Prätorianer und auch die der strengen Senatoren, die seine Ernennung zum Kaiser bestätigen mussten. Alle Quellen stimmen darin überein, dass Neros Thronbesteigung allgemein auf groÃe Begeisterung stieÃ. Es wurde ein neues „Goldenes Zeitalter” erwartet.
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Wie war Nero als Staatsmann
Im allgemeinen neigen wir dazu, uns das Leben der römischen Kaiser als eine Aneinanderreihung von Palastintrigen, Verbrechen, Orgien, Ausschweifungen und Vergnügungen vorzustellen. Dies gab es zwar alles, aber in weit geringerem MaÃe, als uns die Geschichtsschreibung glauben macht, die bis vor kurzem solche Geschehnisse für wichtiger hielt als Tatsachen. In Wirklichkeit musste ein Kaiser vor allem arbeiten.
Zur Zeit Neros hatte das Römische Reich enorme AusmaÃe erreicht. Damit einher ging eine starke Machtkonzentration des Kaisers. Neros gesamte Politik zeichnete sich durch Milde aus. Er hatte offen seine Sympathie für die unteren Klassen, einschlieÃlich der Sklaven, zu erkennen gegeben. Diese Haltung zog sich durch die gesamte Regierungszeit. Auf Ehrungen, die ihm als Kaiser zuteil wurden, war er nicht erpicht. Angewidert war Nero durch den Brauch, bei einem Verbrechen eines Sklaven sämtliche Mitsklaven des Hauses ebenfalls hinzurichten. So entfremdete sich Nero allmählich den harten Gebräuchen des römischen Lebens und versuchte, Elemente der hellenistischen Kultur einzuführen - was allerdings bei der Aristokratie nicht gut ankam. Nero war jedoch bemüht, seine Macht wieder mehr auf die Senatoren zu verteilen.
Der Aufbau und die Konsolidierung eines funktionierenden staatlichen Verwaltungsapparates waren Neros Werk, ohne ihn wäre das Reich zusammengebrochen. Neros anfänglicher Ratgeber war Seneca, der aus einer erzkonservativen Familie stammte. Er tat alles, um seinen ehemaligen Schüler in Sinne einer augusteischen Politik zu beeinflussen, d.h. die Finanzen und Privilegien des Adels nicht anzurühren und alles zu lassen, wie es ist. Seneca verschleierte das Wesen dieser Politik, indem er groÃartige Moralpredigten hielt, die Abkehr von allem Materiellen, Habgier und Reichtum forderte und für ein einfaches Leben eintrat.
Wobei ihm allerdings selber jegliche Moral fehlte: er häufte Reichtümer an, war Erbschleicher und nahm Wucherzinsen. Wenn der Name Seneca heute noch einen positiven Klang hat, so geht dies einmal mehr auf die christlich inspirierte Geschichtsschreibung zurück, die deshalb ein so günstiges Bild von ihm zeichnete, weil seine Philosophie Vorstellungen enthält, die sich in der christlichen Ethik und Theologie wiederfinden. Obwohl Senecas Einfluss auf Nero in der Anfangszeit groà war, haben die christlichen Historiker allein Nero für Verbrechen zu Beginn seiner Regentschaft verantwortlich gemacht.
Im Rechtswesen führte Nero einige Reformen durch. Streitigkeiten bearbeitete Nero sorgfältig, nahm sich Zeit fürs Urteil und verfasste eine schriftliche Begründung. Im Jahr 56 verbot der Kaiser den Statthaltern die Ausrichtung von Gladiatorenspielen und Tierhetzen. So konnten zur Finanzierung dieser Spiele auch keine Gelder mehr von der Bevölkerung erpresst werden.
Bereits im Jahr 58 begann Nero, sich vom Senat zu distanzieren. Ihm wurde immer klarer, dass jegliche Sozialpolitik an einer führenden Klasse scheitern musste, die eine Tangierung ihrer Privilegien und immensen Reichtümer nicht hinnehmen wollte. Um der armen Bevölkerung zu helfen, erhöhte er die in Umlauf befindliche Geldmenge. Er begleitete die MaÃnahme mit einer starken Bautätigkeit, um der Wirtschaft neuen Schwung zu geben. Dabei kam ihm der Brand von Rom zu Hilfe.
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Nero, der Pazifist und Gegner von Gewalt
Für Krieg und militärische Dinge hatte Nero nichts übrig. Er übernahm nie selbst das Kommando über das Heer. In der AuÃenpolitik verfolgte er eine defensive Strategie, beruhend auf diplomatischer Einflussnahme und Abschreckung.
Ein Problem, dem sich Nero zu Beginn seiner Regierungszeit stellen musste, waren die unsicheren Grenzen Britanniens. Zuerst wollte er Britannien ganz aufgeben, aber gegen den kriegswilligen Senat konnte er sich anfangs nicht durchsetzen. Nach Niederschlagung der britannischen Unabhängigkeitsbewegung stand man vor der Alternative, ob zukünftig eine Politik der Vergeltung oder der Versöhnung verfolgt werden sollte. Auf Neros Anweisung wurde Britannien befriedet und wiederaufgebaut. Es fand eine vorsichtige, aber effektive Romanisierung statt.
Einen weiteren auÃenpolitischen Konflikt bildeten die fortwährenden Auseinandersetzungen mit den Parthern. Zwischen den beiden gleichstarken Reichen lag Armenien, worauf Rom sowie Parthien Einfluss ausüben wollten. Als der Bruder des parthischen Königs zum König über Armenien ernannt wurde, konnte Rom damit nicht einverstanden sein. Um lange Kämpfe zu vermeiden, wollte Nero ihn aber trotzdem anerkennen, wenn er sich vom römischen Kaiser krönen lieÃe und so von Rom seine Souveränität erhielte. Die Parther lieÃen sich auf diese Lösung allerdings erst nach einer langen Reihe von Scharmützeln ein. Zum Abschluss der Krönungsfeierlichkeiten schloss Nero als Zeichen dafür, dass an allen Grenzen des Reiches Frieden herrschte, die Doppeltüren des Janustempels. In der gesamten römischen Geschichte gelang es nur drei Kaisern, diese Türen eine Zeitlang geschlossen zu halten. Ein friedliebender Kaiser kam beim Adel allerdings schlecht an. Nur im Krieg gab es viel zu verdienen.
Seit Beginn seiner Regierungszeit hatte Nero stets nach der Devise gehandelt: Diplomatie statt Krieg, und Krieg nur, wenn es für das Prestige des Reiches und die Sicherung seiner Grenzen unumgänglich war; Entdeckungsreisen statt Eroberungen, und Eroberungen nur, wenn sie ohne BlutvergieÃen zu bewerkstelligen waren. Sein Verhalten änderte sich nur, wenn er Angst bekam oder bedroht wurde. Er war sicher kein blutrünstiger Tyrann. So verbot er auch, dass die Gladiatorenkämpfe bis zum bitteren Ende geführt wurden, selbst wenn die Gladiatoren zum Tode verurteilt waren. Todesstrafen verhängte Nero nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden lieÃ.
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Nero als Künstler und Rennfahrer
Nichts hat mehr Sarkasmus und Hohn hervorgerufen als Neros öffentliche Auftritte als Künstler und Rennfahrer. Neben seiner unbestreitbaren Selbstverliebtheit verfolgte Nero damit aber auch ein politisches und pädagogisches Programm: der Versuch einer Kulturrevolution. Einige Autoren sehen darin seine originellste Leistung, mit der er allerdings seiner Zeit voraus war und daher scheiterte. Durch die hellenistische Kultur versuchte Nero die Sitten der römischen Gesellschaft zu zivilisieren und zu verfeinern. Künstlerische Veranstaltungen galten bei den Römern nicht viel, im Gegensatz zu Kriegs- und Militärdienst. Neros persönliche Auftritte sollten vermitteln, dass die Kunst einer kollektiven Teilnahme würdig ist und deshalb auch keine Klassengrenzen kennt.
Neros erster öffentlicher Auftritt erfolgte erst zehn Jahre nach seiner Thronbesteigung. Diese Zeit hatte Nero darauf verwandt, die Voraussetzungen für diese neue Kultur zu schaffen. Es war also nicht reiner Narzissmus, der ihn trieb. Seine Motive waren weitreichender, sonst hätte er sich nicht so lange zurückgehalten. Obwohl Nero seine geplante Kulturrevolution ganz allmählich voranbrachte, stieÃen die Neuerungen bei der Aristokratie und der Intelligenz auf heftige Ablehnung. Tacitus bezeichnet die neuen Sitten als „verachtenswert” und „entwürdigend”.
Nero führte einen Hof, wie er uns aus der Renaissance bekannt ist. Man pflegte einen raffinierten, ästhetisierenden, eleganten, ironischen, libertären, skeptischen, sinnlichen, eher amoralischen als unmoralischen Stil. Nichts galt als selbstverständlich, alles wurde in Frage gestellt und diskutiert.
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Die Verbrechen
Von den vielen Verbrechen, die man Nero anlastet, können im Grunde nur zwei als echte Straftaten betrachtet werden: die Ermordung seiner Mutter und die seiner Gemahlin Octavia.
Nero ermordete nicht seinen Stiefbruder Britannicus, den leiblichen Sohn von Neros Vorgänger, wie z.B. Tacitus behauptete. Der römische Historiker schildert einen angeblichen Giftmord bei einem gemeinsamen Essen. Aber im Wesentlichen handelt es sich um eine der zahlreichen Fälschungen, die Tacitus selbst fabrizierte. Alle nicht-römischen antiken Quellen bestätigen, dass Nero Britannicus nicht umgebracht hat. Folgende Gründe sprechen für Neros Unschuld: Nero war kein Thronräuber. Zu jener Zeit gab es keinerlei gesetzliche Vorschriften zur Regelung der Thronfolge. Nero stammte ebenfalls aus kaiserlicher Familie und hatte durchaus alle Ansprüche auf den Thron. Tacitus gab an, dass Agrippina sich mit Britannicus gegen Nero verbündet hätte, um Britannicus an die Macht zu bringen. Aber damit hätte sich Agrippina selbst ans Messer geliefert, die ja den Vater von Neros Stiefbruder umbringen lies. Agrippina befand sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt ihrer Macht und war nicht, wie Tacitus behauptete, auÃer Gefecht gesetzt.
Auch waren so schnell wirkende Gifte den Römern dieser Zeit unbekannt. AuÃerdem war der 17-jährige Nero zu einem solchen Verbrechen psychisch gar nicht in der Lage. Zu jener Zeit genügte bereits die Unterschrift unter ein Todesurteil, damit sich ihm der Magen umdrehte. Er hing noch nicht an der Macht, war noch kurz zuvor bereit gewesen, alles für eine Geliebte aufzugeben.
Wenn Nero Britannicus wirklich umbringen wollte, hätte es unauffälligere Wege als beim gemeinsamen Bankett gegeben. Britannicus litt seit seiner Geburt an Epilepsie, und der von Tacitus geschilderte Anfall kann durchaus darauf zurückgeführt werden.
Agrippinas Ermordung war aus politischen Gründen unvermeidlich. Sie wurde durch ihre Machtbesessenheit für Nero zur dauernden Gefahr. Einer von beiden musste sterben. Agrippina schreckte nicht davor zurück, alle ihr unliebsamen Mitmenschen aus dem Weg räumen zu lassen. Das brachte Neros Politik der Milde in Gefahr. Als Nero Schwierigkeiten mit dem Senat hatte, versuchte Agrippina, sich an die Spitze der Unzufriedenen zu setzen und die Macht an sich zu reiÃen. Seneca, der selber einen Machtkampf mit Agrippina führte, beschwor Nero, sich seiner Mutter zu entledigen. Nach einem gescheiterten Versöhnungsversuch beschloss Nero, unter wachsendem Druck Senecas, seine Mutter umzubringen. Der erste Mordversuch durch ein Schiffsunglück scheiterte. Unter dem fingierten Vorwurf des Mordkomplotts gegen Nero lies der Kaiser dann seine Mutter töten. Er hatte durch den Muttermord sein Leben lang Albträume und Gewissensbisse.
Nun zum Mord an Octavia. Nero hatte die ihm Aufgezwungene nie geliebt. Er verliebte sich in die intelligente Poppaea, die ihn drängte, sie zu heiraten. Als Neros Geliebte schwanger wurde, verstieà er Octavia. Um die Scheidung gegenüber dem Senat zu erreichen, dichtete er seiner Frau ein Verhältnis an und schädigte so ihren Ruf. Kurze Zeit später heiratete Nero Poppaea. Wahrscheinlich wäre die Sache damit für Nero erledigt gewesen, doch Octavia war beim Volk sehr beliebt und es kam zu Unruhen. Nero verfing sich in seinen Beschuldigungen Octavia gegenüber in Widersprüchen. Als er nicht mehr weiter wusste, lies er seine ehemalige Frau umbringen.
Neros Ehe mit Poppaea war sehr glücklich. Poppaea protegierte die Juden, und Nero drückte ein Auge zu bei dem Durcheinander, das sie ständig in Rom und auch auÃerhalb provozierten. Im Januar 63 bekamen Poppaea und Nero eine Tochter, die aber bereits nach vier Monaten starb. Neros Schmerz war maÃlos. Zwei Jahre später war Poppaea wieder schwanger. Vollkommen absurd ist die Anschuldigung, dass der angetrunkene Nero seine schwangere Frau durch einen FuÃtritt in den Unterleib getötet habe. Nero liebte seine Frau sehr und wollte nichts lieber als ein Kind. Poppaea starb an einer Schwangerschaftskomplikation, was auch aus anderen Quellen, z.B. Sueton, eindeutig hervorgeht.
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Der Brand von Rom und die angebliche Christenverfolgung
Kein ernst zu nehmender Historiker unter den Klassikern und erst recht nicht unter den Modernen hat jemals behauptet, Nero habe Rom in Brand gesetzt. Was kaum ein Lexikon daran hindert, genau das Nero zu unterstellen. Tacitus beschränkt sich im XV. Buch seiner Annalen, das nur in einer Fassung aus dem 11. Jahrhundert vorliegt, auf die Wiedergabe eines Gerüchts. Die Pisonische Verschwörung war damals schon weit fortgeschritten. Die Beteiligten waren also daran interessiert, solch ein Gerücht zu verbreiten, das Nero in schlechtem Licht erscheinen lieÃ. Tacitus selbst glaubte aber, das der Brand zufällig ausgebrochen war. Alle zeitgenössischen Schriftsteller halten Nero für unschuldig. Selbst die ersten christlichen Autoren erwähnen Nero als Brandstifter nicht. Die Behauptung, Nero habe Rom selbst in Brand gesteckt, kam erst 70 Jahre später durch Sueton auf. Während Sueton und Cassius Dio ein Jahrhundert später vom Gesang des Nero während des Brandes erzählen, berichtet Tacitus von einem Nero, der ganz allein und verrückt vor Angst nachts zwischen den Flammen hin und her irrt.
Der erste christliche Historiker, der Nero der Brandstiftung beschuldigte, war Sulpicius Severus im fünften Jahrhundert:
„Er schob seine schreckliche Schuld auf die Christen, die fürchterliche Leiden ertragen mussten, obwohl sie unschuldig waren."
Diese Interpretation des Severus wurde möglicherweise von den christlichen Kopisten in den Text von Tacitus eingefügt. Eine der vielen Fälschungen, die Christen im Laufe der Jahrhunderte vornahmen. Von da an galt Nero in der christlichen Geschichtsschreibung als Brandstifter.
Das Feuer brach in einem Gebiet aus, das mit Häusern, Marktbuden und leicht brennbaren Wagenlagern dicht besetzt war. Tacitus berichtet:
„Als Trost für die obdachlose, umherirrende Bevölkerung gab er [Nero] das Marsfeld und die Bauwerke des Agrippa frei und lieà Behelfsbauten errichten, die die hilflose Menge aufnehmen konnten; man schaffte Lebensmittel aus Ostia und den benachbarten Landstädten herbei, und der Preis für das Getreide wurde bis auf drei Sesterzen heruntergesetzt (ein Sechzehntel des normalen Preises).”
Handelt so ein Wahnsinniger?
Wer hat Rom nun angezündet? Wahrscheinlich war der Brand ursprünglich durch Fahrlässigkeit entstanden. Es war Hochsommer und katastrophale Brände waren nicht nur in Rom an der Tagesordnung. Auch Rom hatte bereits früher schon mehrmals gebrannt. Dank Neros rationalem Städtebau kam es später nicht mehr zu GroÃbränden.
Falls es aber doch Brandstiftung war, wer kam in Frage? Einige renommierte Historiker halten den Brand für Vorboten der Verschwörung gegen Nero. Allerdings würden nur Verrückte oder zum Märtyrertum entschlossene Fanatiker ausgerechnet bei hellem Vollmond, der damals herrschte, einen Brand legen. Solche Fanatiker gab es, und zwar bei extremistischen Gruppierungen der christlichen Bewegung. Die ersten Christen erwarteten das Ende der Welt - so wie Jesus, wie heute allgemein bekannt ist. Sie sehnten sich glühend danach und glaubten, dass das Ende kurz bevorstünde. Für die Radikalsten unter ihnen galt Neros Rom mit seinen liberalen Sitten als Sodom und Gomorrha.
„Das Tier mit den sieben Häuptern, das aus dem Meer steigt” aus der Offenbarung des Johannes ist Rom. Dieses Rom musste nach der Offenbarung zum Weltende Tod, Leid, Hunger und Feuer erleiden. Etliche moderne Historiker gehen von der Annahme aus, dass ein Fanatiker diese Worte als Aufruf verstanden haben könnte.
Tacitus berichtet, dass verhaftete Christen nicht nur Geständnisse ablegten, sondern sogar schon gestanden, bevor sie festgenommen wurden. Warum diese Selbstbezichtigung? So handeln nur Fanatiker, die nach Ruhm streben und denen der Tod gleichgültig ist. Es mag sein, dass die Christen die Schuld für den Brand - ein Zeichen für das Ende der Welt - im Märtyrerdelirium auf sich nahmen, ohne selbst Rom angezündet zu haben. Es ist aber durchaus möglich, dass einige extreme Glaubensbrüder bewusst das Märtyrertum suchten und wirklich das „verdorbene Rom” abfackeln wollten. Menschen, die für ihren Glauben zu allem bereit waren, hatten auch keine Angst vor Repressalien, sie waren geradezu erpicht darauf. Paulus selbst äuÃerte sich in seinem Römerbrief besorgt über den Extremismus einiger Glaubensbrüder und ermahnte sie, die Behörden nicht zu provozieren.
Das Feuer galt den Christen als Symbol der Katharsis und würde alle Schande der Welt für immer ausmerzen. So äuÃern sich jedenfalls Petrus (Ihr Lieben, lasset Euch die Hitze nicht befremden, die Euch widerfährt, sondern freuet Euch, Briefe I, 4, 12-13), Johannes (Offenbarung, XVIII, 8) und auch Jesus (Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, als es brennete schon! Lukas, XII, 49).
Massimo Fini dazu:
„Es ist klar, dass Feuer für Christus, Lukas und Petrus eine symbolische Bedeutung hatte (bei solchen Besessenen wie Johannes würde ich darauf nicht schwören), es ist aber nicht auszuschlieÃen, dass einfältige und ungebildete Christen, die ja schlieÃlich die Mehrheit stellten, diese Botschaft wörtlich nahmen."
2006-07-12 07:38:43
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answer #7
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answered by Anonymous
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