Abweichende Meinungen zum Falkland-Krieg
Inhalt
3. Kapitel
Zur Logik des Konfliktverlaufs: Durch einen begrenzten Krieg zurück zum Frieden
l. Nach den Regeln der westlichen Abschreckungsideologie hätte aus dem schon jahrelangen diplomatischen Streit um jene südatlantische Inselgruppe nie ein Krieg entstehen können. Die argentinische Regierung hatte ja nicht einmal nur ein "Gleichgewicht des Schreckens" zu fürchten; sie durfte sich ihrer militärischen Unterlegenheit von Anfang an gewiß sein -— nach bundesdeutscher, europäischer und gesamtwestlicher Doktrin eine Situation, die bedingungslose Erpreßbarkeit bedeutet und höchstens der Gegenseite freie Hand für militärische Aktionen gibt. Daß sie ihre Truppen ausrücken ließ, verdankt sich auch nicht der mehr oder minder gewissenhaften Zählung des Materials, sondern einem politischen Entschluß; und in bezug auf den verfolgten Zweck gelten einer souveränen Regierung die Waffen nur als mehr oder minder taugliches Mittel. Dessen Einsatz folgt einer Kalkulation, die ebenfalls nicht einfach mit dem verfügbaren Waffenarsenal des Kontrahenten rechnet, sondern mit den Interessen der anderen Seite. Dabei rechnet der Staat, der den "Erstschlag" führt, daß seine vollzogene Gewaltanwendung die "Lage" praktisch definiert, also dem Gegner für seine Interessenkalkulationen eine neue Grundlage aufzwingt, die sich von statistischen Vergleichen zwischen "Potentialen" durchaus unterscheidet. Daß die argentinische Regierung sich in diesem Punkt getäuscht, in der britischen Entschlossenheit zum Gegenschlag verrechnet hätte, diese meist schadenfroh eingefärbte Auffassung trifft den Sachverhalt allerdings nicht. Von einem Irrtum kann ja wohl kaum die Rede sein, wo eine Staatsgewalt ihren ohne Not auserkorenen Widerpart vor eine vollendete Tatsache stellt. So etwas ist kein theoretischer Vergleich mehr: Wo sich ein Souverän an einem Interessengegensatz mit einem anderen mißt, eine "höchste Gewalt" sich entschließt, dafür auch mit einem Krieg einzustehen, da entscheidet allein der Erfolg über die Richtigkeit oder Verkehrtheit ihrer Kalkulation.
2. Die argentinische Regierung hat sich einen solchen Erfolg ausgerechnet — und damit die britische »Abschreckung" nicht als Hindernis für eine kriegerische Aktion anerkannt, sondern auf die Probe gestellt. Die britische Regierung hat darin einen Anlaß gesehen, genau das zu tun, was ein Staat mit seinem Gewaltapparat anzustellen vorhat, wenn er ihm die Aufgabe der "Abschreckung" zuschreibt. Die Selbstkritik, Argentinien die Besetzung der Malvinas durch mangelnde militärische Präsenz vor Ort zu leicht gemacht zu haben, war ihre erste, mit dem Rücktritt des dafür haftbar gemachten Außenministers eingeleitete Reaktion. Schon diese Selbstbezichtigung war kein "Urteil" über die Bedingungen, unter denen die argentinische Aktion stattgefunden hat, sondern die Kundgabe des Entschlusses, an dieser Stelle die britische Souveränität verletzt zu sehen und — wiederherzustellen. Was dieser Entschluß bedeutet, und zwar von Anfang an bedeutet hat, das wird spätestens aus dem Ergebnis ersichtlich: es war der Entschluß zu einem Krieg im Südatlantik.
Bereits die prompte Entsendung der britischen Flotte, eine für Kenner und Liebhaber beeindruckende Leistung, war nicht eine "bloße" Gewaltandrohung im Unterschied zur angedrohten kriegerischen Gewalt, wie aufgeregte Kommentatoren sich im Rückblick die Logik der Ereignisse zurechtlegen. Wo die Politik zum Einsatz ihrer militärischen Machtmittel übergeht - und die Kriegsflotte war im Einsatz, auch als sie noch auf dem Weg in den Südatlantik war! -, da findet eben kein Pokerspiel. statt, das sich am Ende in einen großen Bluff auflösen könnte, sondern da ist der Entschluß zum Krieg gefallen, und es liegt tatsächlich nurmehr am Gegner, ob er ihn durch eine vorweggenommene Kapitulation noch vermeiden will. Von dort her bestimmt sich dann ab sofort auch die Diplomatie: Sie stellt nicht mehr den gefallenen Kriegsbeschluß zur Disposition, sondern teilt ihn dem Feind mit - einschließlich der Kapitulationsbedingungen, die die kriegsbereite Seite als hinreichend für die Wiederherstellung des verletzten Respekts vor ihrer Souveränität anzusehen bereit wäre. Andersherum; als Versuch, durch eine bloße Gewaltandrohung den politischen Zweck, den Rückzug der argentinischen Truppen, zu erzwingen, — "Abschreckung" also in dem Sinn, wie der NATO-Bürger sie als Kriegsverhinderungsprinzip glauben und schätzen soll - wäre die Entsendung der Kriegsmarine tatsächlich eine absurde Aktion: Um zu wirken, ein materielles militärisches Ergebnis zu zeitigen, will die demonstrierte Kriegsbereitschaft und Gewaltandrohung auch tatsächlich bewiesen sein; getrennt von dem Beschluß, sie praktisch wahr zu machen, wäre sie ja noch nicht einmal ein diplomatisches Druckmittel; deswegen läuft sie auch, solange die Gegenseite sich nicht fügt - und die "drohende" Partei ihren Entschluß nicht revidiert -, ganz konsequent auf ein tatsächliches militärisches Kräftemessen hinaus. Das Kräftemessen wiederum geschieht in dem politischen Auftrag, den Gegner durch Schädigung mit militärischer Gewalt, und zwar zuallererst an seiner militärischen Gewalt, zu einem erneuerten bedingungslosen Respekt vor der britischen Souveränität und ihren Ansprüchen zu bewegen; und demgemäß wurde im beschlossenen Falkland-Krieg die Eskalation der Gewaltanwendung eingerichtet. Die ersten Schläge der Kampfflotte, bis hin zur Versenkung des antiquierten, aber malerischen Kreuzers "General Belgrano" mit seinen 1000 Mann Besatzung durch ein britisches U-Boot, bedeuteten das praktische Durchexerzieren der britischen Überlegenheit mit dem klaren Ziel, Argentinien die Kapitulation in Bezug auf die besetzten Inseln nahezulegen. Folgerichtig fanden gleichzeitig, zunächst über einen "neutralen Dritten", den US-Außenminister Haig, Verhandlungen statt, denen über Zweck und Grundlage von Kriegsdiplomatie in der modernen Staatenwelt einiges an Klarstellungen zu entnehmen ist. "Kompromißvorschläge" und "Lösungspläne", die den "Konflikt" auf seinen scheinbaren materiellen Kern, die Inselgruppe, zu reduzieren suchen, scheitern". Der eigentliche Streitgegenstand heißt längst: das unbedingte Recht auf die Verwaltung des Archipels, und den läßt sich ein Staat nicht relativieren, schon gar nicht durch schnöde Berechnungen über den ökonomischen Nutzen einer Heerfahrt. Einen gewissen Anklang finden die Pläne nur bei der argentinischen Seite, die darin für ihren Anspruch auf Souveränität im und über den Südatlantik ein Stück Anerkennung entdeckt. Eben deswegen haben alle diese Friedenspläne für die britische Regierung nur eine, allerdings ebenfalls sehr wichtige Funktion: Mit deren Zurückweisung macht sie deutlich, daß ihr Souveränitätsanspruch überall dort, wo sie ihn anmeldet, nicht - wie der argentinische - auf bedingte Berücksichtigung durch Dritte, sondern auf bedingungslose Anerkennung geht. Für den Ernst dieser Forderung kann wiederum nicht die Diplomatie, sondern muß die militärische Gewalt einstehen; die Diplomatie verdolmetscht bloß noch die "Botschaften", die das Kriegsgeschehen praktisch in die Welt setzt. Denn jeder Kampfakt, jede Schädigung des argentinischen Gegners soll ja nicht »bloß" ein militärisches Kräftemessen und in diesem ein allemal höchst relativer Tagessieg sein, sondern eine auf ihre Art absolute politische Aktion: die schrittweise Verwirklichung des festen Willens, die eigene Überlegenheit praktisch wahrzumachen, und so die schrittweise Vollstreckung des Anspruchs, der Gegner müsse seine Infragestellung der britischen Hoheitsansprüche, wenn und solange er sie nicht bedingungslos widerruft, um so härter büßen.
Der totale Schlag, der dem Gegner keine Wahl mehr läßt und ihm einen bedingungslosen Respekt aufzwingt, ist ein abgeschlossenes feindliches Flugzeug oder Kriegsschiff nun aber allemal nicht. Im Kräftemessen hat auch die Gegenseite ihre Chancen, und seien es Zufallstreffer. Mit der Vernichtung des Zerstörers ,,Sheffield" hat die argentinische Luftwaffe die Relativität aller bis dahin errungenen britischen Erfolge klargestellt und die mit der Versenkung des stolzen Kreuzers übermittelte Aufforderung zum Klein-Beigeben zurückgewiesen.
Klargestellt war damit andererseits die in dem Entschluß zum Militäreinsatz von Anfang an eingeschlossene »Notwendigkeit", die Gewaltanwendung zu eskalieren, bis sie den angestrebten politischen Effekt erreichen würde - was vom britischen Standpunkt aus eben eine Frage der argentinischen Nachgiebigkeit ist. Die Steigerung des Krieges steht an; mit der Perspektive, dem gegnerischen Souverän nach und nach alle seine militärischen Machtmittel aus der Hand zu schlagen, auf die seine Mißachtung der britischen Hoheit sich stützt. Erste Schritte der ,.fälligen" militärischen Eskalation sind die Ausweitung der von der britischen Flotte beanspruchten und kontrollierten Sperrzone im Südatlantik bis an die engeren argentinischen Küstengewässer heran, die Blockade der Inseln, tägliche Angriffe auf argentinische Schiffe und Flugzeuge, Aktionen gegen die auf den Falklands stationierten Truppen; lauter Maßnahmen, die von Beginn an auf die Vorbereitung einer rein militärischen "Endlösung", die erfolgreiche Vertreibung der Argentinier und die Wiederbesetzung der Inselgruppen, berechnet sind. Der Gesichtspunkt, unter dem der britischen Regierung gerade an einer solchen "Lösung" gelegen ist, wird gleichzeitig auf dem Feld der Diplomatie klargestellt. Britische Diplomaten machen keine Vorschläge, die auf eine Relativierung des Streits, auf die Identifizierung eines verhandlungsfähigen Streitobjekts und damit auf eine einvernehmliche Lösung berechnet wären, sondern haben einen anderen Auftrag. Mit der Zurückweisung aller entsprechenden Vermittlungsvorschläge stellen sie klar, daß der Streit aus britischer Sicht nach wie vor um etwas "Absolutes" geht, nämlich um die Souveränität ihrer Nation, daß ihre Regierung deswegen mit weniger als einer argentinischen Kapitulation nicht zufrieden ist und daß sie folglich ihrem Gegner nur eine Alternative lassen will: Kapitulation freiwillig oder gewaltsam erzwungen. Mit ihrer kompromißlosen Kriegsbereitschaft erlegt so die britische Diplomatie dem argentinischen Widerpart die alleinige Verantwortung für "Krieg oder Frieden" auf, erklärt die eigene Seite geradezu für abhängig von den Entschlüssen der anderen, das eigene Vorhaben für eine bloß defensive Reaktion auf die Wahl, die die argentinische Junta trifft, gerade so, als hätte man selbst ihr nicht erst die Qual einer solchen Wahl bereitet und auch bereiten wollen - ein Quidproquo, das mit einem Irrtum oder einem theoretischen Fehler nichts zu tun hat, sondern zeigt, daß und wie sehr imperialistische Selbstgerechtigkeit die Waffe der Diplomatie ist.
— Um sich genau dieser Wahl zu entziehen, hat nun allerdings die argentinische Armee ihrerseits eine "Abschreckungsstreitmacht" auf den Falkland-Inseln aufgebaut; eine Schutztruppe für ihren Souveränitätsanspruch, die der britischen Regierung eine andere Kalkulation aufnötigen soll. Bei aller Unterlegenheit sorgt diese Militärmacht doch dafür, daß zwischen dem erklärten britischen Willen, die "Ehre der Nation" durch die Kapitulation des Gegners - an dem strittigen Punkt - wiederherzustellen, und dem britischen Erfolg noch einige Bedingungen zu stehen kommen, nämlich ein militärisches Kräftemessen, in dem aus der Überlegenheit erst einmal ein Sieg werden muß - eine auch für Großbritannien kostspielige Angelegenheit. Mit dem Zwang, hier einen hohen Preis einzukalkulieren, will die argentinische Regierung ihren britischen Kontrahenten dazu bewegen, den Streitgegenstand doch wieder als eine Sache von beschränkter, bloß relativer Wichtigkeit zu betrachten und die Möglichkeit eines Kompromisses wieder in Betracht zu ziehen. Logischerweise gehört daher auf argentinischer Seite zur Aufbietung aller verfügbaren militärischen Macht eine Diplomatie, die eine Forderung nach der anderen streicht, in geradezu unterwürfiger Manier Nachgiebigkeit und bedingungslose Verhandlungsbereitschaft signalisiert - und umgekehrt:
selbst die argentinische Position einer immer weitergehenden Kompromißbereitschaft läßt sich den britischen Ansprüchen gegenüber überhaupt bloß aufbauen und halten, indem eine militärische Gewalt aufgeboten wird, die der Gegenseite die Kalkulation mit einem Krieg und gegebenenfalls dessen Durchführung bis zu einem eindeutigen, unwiderruflichen Sieg aufnötigt. Auch auf dieser Seite ist also die Diplomatie nur so schlagkräftig und »überzeugend", wie die Kriegsbereitschaft bedingungslos; denn Diplomatie heißt ja nichts als dem Gegner die Wahl benennen, die man ihm unter Einsatz der eigenen staatlichen Macht aufnötigen will.
— Wo zwei Staaten einen Streitpunkt zum Essential ihrer Souveränität erklärt haben, da hört der Krieg erst auf, wenn eine Seite tatsächlich kapituliert. Das bedeutet auf Seiten des Verlierers die erzwungene Bereitschaft, als Verlierer zu verhandeln - eine wahrhaft geniale Konstruktion des Völkerrechts, das auch noch den kriegführenden Parteien die formelle Anerkennung durch ihren Feind als mit Rechten und einem souveränen Willen ausgestattetes politisches ,,Individuum" zusichert, nur damit der Besiegte eine Chance behält, seine Niederlage souverän anzuerkennen.
Deswegen ist Großbritanniens militärische ,,Lösung", die blutige Wiederbesetzung der Malvinas, allerdings auch keinerlei Lösung des ,,Konflikts" und muß keineswegs die Beendigung des Krieges sein; denn der dort errungene Sieg ist noch keineswegs identisch mit einem argentinischen Eingeständnis, gescheitert zu sein. Im Gegenteil: den von Großbritannien angesagten Krieg verloren zu geben, wäre nach dem Gewicht, das die argentinische Regierung den Falklands für ihre Souveränität beigelegt hat, ziemlich gleichbedeutend mit einer einstweiligen Verabschiedung der Nation aus der Weltpolitik, in der sie doch gerade eine bedeutendere autonome Rolle spielen sollte. Als maßlose Egoisten, die sie sind, bringen souveräne Staatsgewalten eine solche Selbstverleugnung schwerlich zuwege - eher wird Argentinien seinen Willen, nicht zu kapitulieren, dadurch wahr machen, daß es dem britischen Gegner auch noch nachträglich den Preis für seinen Sieg so hoch wie nur irgend möglich zu machen sucht.
Abschließend militärisch zu "lösen" wäre daher auch dieser begrenzte "Konflikt" nur durch die andere Variante von Kapitulation, den "unconditional surrender": einen so totalen britischen Sieg, daß dessen Anerkennung durch den Besiegten gar keine Frage mehr ist, weil dessen Gewaltmittel vernichtet sind - und es ohne diese einen souveränen Willen auf seiner Seite überhaupt nicht mehr gibt.
— Bis zu dieser letzten Schranke hin haben Großbritannien und Argentinien die Logik von Souveränität und "Abschreckung" geradezu bilderbuchmäßig Stück für Stück, Schritt um Schritt vorgeführt. Letzte Illusionen darüber, daß "Abschreckung" die Verhinderung eines Krieges bedeuten sollte oder könnte, und die Vorstellung, ein "Kriegsausbruch" heute sei so gut wie unvorstellbar, könnte und sollte man sich angesichts dieser Klarstellung abgewöhnen. Der feste Wille, den Gegner »abzuschrecken", ihm also die Wahl zwischen Rückzug oder dem Risiko einer militärisch erzwungenen Kapitulation aufzuzwingen, führt konsequent in den Krieg hinein. Denn kein Staat beugt sich einer feindlichen Macht und deren Alternativen ohne den Versuch, dem Gegner seine "Sicht der Dinge" aufzunötigen. Sehr berechnend macht da ein jeder die eigene Bereitschaft zum Frieden von des anderen Bereitschaft zur Unterwerfung abhängig - wer verliert, ist damit als derjenige überführt, der die Lage nicht ernst genug genommen, durch sein "Abenteurertum" den Krieg verschuldet hat.
Die letzte Konsequenz militärischer "Abschreckung" - so sehr die Logik der militärischen Zurückweisung des argentinischen "Übergriffs" auch darauf zuläuft -: das bedingungslose Fertigmachen des anderen, ist im britisch-argentinischen Krieg nun allerdings nicht vorgesehen. Es soll ein "Konflikt" bleiben. Daß es um die totale Kapitulation der argentinischen Staatsmacht nicht ohne weiteres gehen soll, ist der diplomatische Inhalt der britischen Versicherung, man befinde sich noch gar nicht im Kriegszustand mit Argentinien, nehme vielmehr nur ein verbrieftes "Recht auf Selbstverteidigung" wahr. Und tatsächlich mobilisiert die britische Regierung zwar ihre westeuropäischen Partner für eine ökonomische Erpressung Argentiniens, die diese auch, widerwillig genug, zugestehen; zum bedingungslos zu schädigenden Feind erklärt sie den argentinischen Staat, einschließlich seiner Wirtschaft, aber nicht und sorgt auch unter den eigenen Geschäftsleuten keineswegs kompromißlos dafür, daß er so behandelt wird. Konsequent bis zur totalen Entmachtung des gegnerischen Souveräns ist die britische Forderung nach und die militärische Erzwingung uneingeschränkter Respektierung der britischen Souveränität über die Malvinas also, trotz allem, auch wieder nicht. In einer letzten, prinzipiellen gemeinsamen Geschäftsgrundlage der argentinischen wie britischen Souveränität hat die Bereitschaft zum totalen Krieg denn doch eine Schranke, die aber alles andere als Trost zu stiften vermag - weil sie aus ihrer eigenen Logik heraus gar nicht erwächst: ihr sind Schranken gesetzt.
3. Daß der Konflikt vor allem anderen die USA etwas angeht, war von Anfang an allen "Beobachtern" klar - und den Beteiligten sowieso: Daß Präsident Galtieri noch am Morgen des Invasionstages bei seinem "Kollegen" Reagan telephonisch um. Duldung seines Unternehmens eingekommen ist - und eine Warnung vor "Blutvergießen" zur Antwort erhalten hat, was einer Billigung ziemlich nahekommt! -, wurde von beiden Seiten bestätigt; gleichartige Kontakte der britischen zur amerikanischen Regierung vor Entsendung der Flotte bedurften erst gar keiner Bestätigung; und daß US-Außenminister Haig als "neutraler Vermittler" sogleich seinerseits eine Art Hoheit über das gesamte Geschehen anmeldete, hat erst recht jedermann selbstverständlich gefunden. Die Vorstellung einer ganz fraglosen Zuständigkeit der USA für alles, was sich in "ihrer Hemisphäre" so abspielt, hat dabei allerdings noch ganz anders recht, als sie gemeint ist. Schließlich sind beide, Argentinien wie Großbritannien, Verbündete der USA; und beide Staaten sind das in solcher Weise, daß sie nicht einfach aus eigener Machtvollkommenheit, zusätzlich zu ihren und zwecks Förderung ihrer sonstigen weltpolitischen Interessen und Unternehmungen, auch noch mit den USA eingegangen sind. Den amerikanischen Interessen ökonomischer wie strategischer Natur prinzipiell offen zu sein und dienlich sein zu wollen, ist die Grundlage der Souveränität und Machtvollkommenheit, die beide sich in der Staatenwelt herausnehmen; als Mitglieder "des" Bündnisses und unter dessen Vorbehalten verfolgen sie ihre nationale Größe. Mit ihrer so begründeten Souveränität kalkulieren sie auch dort, wo sie diese gegen einen anderen Vasallen ihrer "Führungsmacht" einsetzen. Für so wertvoll für die Erfordernisse und Anliegen einer westlichen "Weltordnung" halten inzwischen die herrschenden Militärs in Argentinien ihre Macht - die erst im November vergangenen Jahres mit dem Sicherheitsauftrag einer lateinamerikanischen Einsatztruppe betraut wurde -, daß sie ihr gar nicht weiter zweckdienliches Sonderinteresse an der Souveränität über die Falklands dadurch mit gedeckt sehen. Und die britische Regierung ist sich ihrer Unentbehrlichkeit für die NATO, das Herzstück der westlichen Weltordnung, so sicher, daß sie sich, völlig getrennt von und neben ihrem Bündnisbeitrag und sogar auf dessen Kosten, die Freiheit nimmt, bis hin zum Krieg gegen einen zu "frech" gewordenen Hintersassen des eigenen Hauptverbündeten auf Respekt vor ihrer irgendwie noch weltweiten Souveränität gewaltsam zu bestehen.
Und offenbar sind beiden Mächten solche Kalkulationen nicht einfach verboten. Zu einem Ultimatum an eine der beiden Adressen haben die USA sich jedenfalls nicht entschlossen. Ihre Sorge galt mitten im Krieg vorrangig einem anderen, nämlich ihrem weltpolitischen Hauptanliegen. Außenminister Haig hat mitten in der Betreuung des britisch-argentinischen "Konflikts" diplomatisch klargestellt, was nie aktuell gewesen ist:
Ein sowjetischer Versuch, sich "einzumischen" und den Streit zwischen westlichen Freunden für sich zu funktionalisieren, kommt nicht in Frage; dann wäre ein ganz anderer Zwang zur Einigung - oder eine ganz andersgeartete Konfrontation fällig. Die anfänglichen, insbesondere von bundesdeutscher Seite aufgeblasenen Gerüchte über sowjetische Beobachtungsschiffe und womöglich sogar Drahtzieher im Hintergrund, mit denen an die weltpolitische Hauptfront erinnert und die einzige Gefahr namhaft gemacht wurde, die für das westliche Bündnis den Ernstfall darstellt, sind denn auch sehr bald verstummt. Tatsächlich hat die argentinische Regierung mit dem Gedanken an die Möglichkeit, die Russen ins Spiel zu bringen, nie mehr als kokettiert, um an ihre eigene Gcschäftsgrundlage: ihre Wichtigkeit für die Sache des Westens, zu erinnern; umgekehrt hat die Sowjetunion sich nicht nur überhaupt, sondern betont aus der Affäre herausgehalten: Im Gegensatz zum Westen ist sie weder willens noch in der Lage, ihrem Hauptfeind irgendwo in der Welt eine neue Front aufmachen zu können — was ihr in Sachen Afghanistan ja immerzu vorgeworfen wird.
Auf dieser Grundlage leisten die USA sich einen sehr weitgehenden "Respekt" vor den besonderen nationalen Interessen, die ihre Verbündeten - auf Basis dieser Bündnispartnerschaft und neben ihr - gegeneinander pflegen. Solange ihre Partner und Vasallen ihren nationalen Egoismus noch auf der Geschäftsgrundlage westlicher Einigkeit und des eigenen Nutzens für diese betreiben, halten die USA auch an dem von ihnen so effektiv wie noch nie durchgesetzten Prinzip einer Bündnistreue fest, die nicht einfach Gehorsam bedeutet, sondern als Chance für Mitmacher daherkommt. Das Risiko einer dysfunktionalen Verselbständigung der Bündnis-Nationalismen gehen sie dabei ein und zeigen sich sogar noch tolerant, wo die Partner ihre neben dem gemeinsamen westlichen Weltkriegszweck zugestandene Freiheit in kriegerischen Unternehmungen gegeneinander betätigen - auch eine Klarstellung darüber, was fällig ist, wenn erst einmal der Bündnisfall selber eintritt! Dabei erspart in diesem Fall das offenkundige Kräfteverhältnis zwischen dem südamerikanischen Vasallen und dem westeuropäischen Satelliten der US-Regierung jede Überlegung, welchem Partner der größere Freiraum zusteht: Dem, der sich tatsächlich mehr herauszunehmen vermag und mit der Wiederherstellung eines nationalen Stolzes die Intransigenz des Gegners zermürbt und dessen Ansprüche auf Wichtigkeit und Respektierung seiner nationalen Sonderinteressen auf ihr beschränktes Maß wieder zurückstutzt.
"Verboten" bleibt da nicht mehr und nicht weniger als der von der Logik der Abschreckung her eigentlich fällige Übergang zur Vernichtung der argentinischen Militärmacht. Die wollen die USA sich schließlich erhalten; und ein bißchen soll sie durchaus auch in den Genuß des imperialistischen Prinzips der gegenwärtigen Welt gelangen, daß sich für einen Staat das Mitmachen auf Seiten des Westens, die praktisch bewiesene Freundschaft zu den USA, in Sachen Macht und Ehre lohnt, und zwar um so mehr, je bedingungsloser sie ist. Unterhalb dieser Schwelle nutzen die USA ihre Weltmacht in der Weise, daß sie sich sehr frei für ziemlich unzuständig erklären, nach Lage der Dinge beiden Seiten ihre fortdauernde prinzipielle Sympathie versichern und die diplomatische Seite des Krieges nicht mehr durch ihren eigenen Außenminister überwachen lassen, sondern dem Forum anheimstellen, das in der Pflege des Scheins der Gleichberechtigung und einer prinzipiellen Versöhnlichkeit aller Mitglieder der Staaten-"Familie" seine Hauptaufgabe hat: der UNO mit ihrem Generalsekretär, der da gleich seine erste Bewährungsprobe oder sein erstes Scheitern hinter sich bringen kann.
Und wenn sich darüber für den britischen Hauptverbündeten herausstellt, daß seine Weltmachtsouveränität, so auf sich gestellt, keineswegs durch Unbedingtheit besticht, sondern nur in einem mühseligen Kräftemessen mit Argentinien aufrechtzuerhalten ist, dann dürfte dieses Ergebnis die USA ebenfalls kaum sehr stören!
4. Die feindlichen Sonderegoismen der beiden streitenden Staaten der westlichen Welt treffen bei den jeweils benachbarten und besonders interessierten Partnern, den anderen Mitmachern bei der amerikanischen Weltordnung, auf sehr bedingte Billigung und Solidarität.
- Argentinien erreicht bei den anderen lateinamerikanischen Regierungen, im Vergleich zu denen die Junta durch ihre Falkland-Aktion - nämlich durch ihre damit praktisch in Anspruch genommene weltpolitische Freiheit - gerade die spezielle, vorrangige Wichtigkeit ihrer Macht bestätigt sehen wollte, auf der OAS-Konferenz eine Verurteilung Großbritanniens ohne jede praktische Konsequenz. Für dieses Ergebnis brauchte noch nicht einmal ein Veto der USA zu sorgen. Regierungen, die ihr Land ausgerechnet bei britischen, amerikanischen und sonstigen westlichen Staaten mit Milliardensummen verschuldet haben, deren Ökonomie sowohl hinsichtlich der benötigten und der zu verkaufenden Güter wie finanziell und sogar finanztechnisch ohne das wohlwollende Interesse der NATO-Staaten überhaupt nicht über die Runden kommt, deren Militärmacht ohne Lieferanten aus dem Norden, Großbritannien selbst mit an vorderer Stelle, sehr schnell am Ende wäre, solche Regierungen stellen angesichts des Falkland-Konflikts und der argentinischen Solidaritätsforderungen ihre entsprechenden Kalkulationen an. Der diplomatisch beschworene Idealismus der kontinentalen Einigkeit und der Unterstützung der argentinischen Position gegen die alteuropäische "Kolonialmacht" verspricht der einen Seite fortdauernde "Kooperations"-Willigkeit und kündigt der anderen ein um so stärkeres Bemühen der größeren lateinamerikanischen Nachbarn an, nun ihrerseits die Rolle einer verläßlichen ,,Schutzmacht" der Region oder eines diplomatischen Vormunds zu spielen. Der Konkurrent Chile, mit dem das argentinische Militär beinahe einen ähnlichen Kampf um feuerländische Inseln angezettelt hätte, bietet zivile Flottenhilfe an; Peru möchte den diplomatischen Fürsprecher Argentiniens und den Friedensstifter spielen; Brasilien profiliert sich als, immerhin, autonomer Rüstungslieferant, wenn auch keineswegs im großen Stil. Die Nachbarn wissen die von Argentinien mit seiner Falkland-Aktion eröffnete Konkurrenz um die Funktion derjenigen regionalen Macht, deren Interessen jederzeit von allen übrigen Interessenten mit in Rechnung zu stellen sind, ihrerseits denn auch mitzumachen und auszunutzen.
- Großbritannien erreicht immerhin, außer einem Stapel Solidaritätsbekundungen zu jedem seiner militärischen Schritte, einen Boykott-Beschluß der EG - allerdings bloß einen befristeten, bloß widerwillig verlängerten; und auch die im NATO-Rahmen bekundete Sympathie für die britische Position weiß allemal die Parteinahme für das gewaltsame Vorgehen des Partners mit der Mahnung zu einer "Verhandlungslösung", einem demonstrativen Bedauern über die "leider" angefallenen Toten und der Warnung vor "weiterem Blutvergießen" zu verknüpfen. Lauter Aktionen, die eine gewisse, zusätzlich schädliche Wirkung auf Argentinien zwar sicher nicht verfehlen, vor allem aber den britischen Freund zum Adressaten haben. Mit der weltweiten Wächterrolle, die Großbritannien da so offensiv als seine nationale Aufgabe definiert und seiner Funktion als ins Bündnis eingeordnete europäische NATO-Macht so demonstrativ überordnet, nimmt die Regierung nämlich für ihr Land eine Sonderrolle im Bündnis in Anspruch, die den konkurrierenden Partnern in einer wesentlichen Hinsicht überhaupt nicht passen kann: den einen nicht, weil sie in diesem Vergleich endgültig nur noch die untergeordneten Erfüllungsgehilfen eines von anderen sehr souverän gehandhabten Bündniszweckes darstellen; den anderen, mächtigeren nicht, weil die ihrerseits darum kämpfen, die Bündnispolitik am Maßstab ihrer nationalen Sonderinteressen zurechtzurücken. Die entsprechende Rechnung wird der britischen Regierung einerseits im Namen des Militärbündnisses aufgemacht: der Abzug der Flotte ist "eigentlich" eine unzulässige, auf Dauer schon gar nicht verkraftbare Schwächung der NATO. Andererseits wird diese Rechnung in dem Rahmen präsentiert, in dem die Konkurrenz der europäischen "Partner" sich überhaupt am kräftigsten austobt, weil er genau für den Zweck überhaupt bloß geschaffen worden ist: im Rahmen der EG-Solidarität wird sie in Agrarpreisen, Einzahlungsquoten und "Haushaltshilfen" beziffert und mit Mehrheitsbeschlüssen gegen britischen Einspruch bezahlt gemacht. Auch auf diesem hochzivilisierten Kontinent bringen also die britischen Weltmachtambitionen die Konkurrenten in Bewegung.
5. Das Kriegsgeschehen selbst bleibt durch die Konkurrenz der interessierten Freunde und Partner unbeeinträchtigt. Auf einen Abbruch des Unternehmens ist es jedenfalls nicht berechnet. wenn der deutsche Außenminister seinen britischen Kollegen erstens seine Solidarität zusichert, zweitens mit Boykottmaßnahmen gegen Argentinien beisteht, drittens daneben den la teinamerikanischen "Freunden" seine Sorgen um den Fortbestand guter Beziehungen mitteilt wo diese zu "guten Beziehungen" schon ihrer exorbitanten Schulden wegen gar keine Alternative haben - und viertens die Briten an ihre Pflichten und EG-Funktionen mahnt. Deutlich wird daran nur. wie genau die Verbündeten diesen Krieg daraufhin kontrollieren, daß er auf gar keinen Fall unversehens ihnen si haltet ein Punkt, in dem die treuen Staatsbürger mit ihren Warnungen vor "dem Iran" den Abwägungen ihrer Diplomaten zwar nicht in Radikalität und Präzision, aber im polemischen Tonfall wie der einmal voraus sind. Mehr noch: auf die Suche nach Ansatz punkten für eine nützliche Erpressung des Partners begeben sie sich - und "wirken" damit erst recht nicht ,,mäßigend auf ihn ein", sondern beweisen nur die Dringlichkeit seines eigenen Interesses an einem möglichst raschen Sieg.
Ein anderes Interesse kennt eine Nation nämlich nicht mehr, wenn sie sich einmal auf einen Krieg eingelassen hat; bis zu dessen Beendigung ordnet sie ihm alles unter. Nur und erst mit dem Erfolg, mit dem Erfolg aber auch wirklich, bekommt jeder Krieg für die siegreiche Partei seinen Sinn, hat er sich gelohnt - ganz gleich, was er gekostet hat. Bis dahin ist eine kriegsführende Regierung einer kritischen Kalkulation der Lohnkosten allemal nur in einem Sinne zugänglich: sie findet darin ein Argument mehr, sich von jeder Beschränkung des Aufwandes frei zu machen und im Sinne des universellen Erfolgsrezepts: "Nicht kleckern: Klotzen!" um so härter zuzuschlagen. Die dabei erzielten Toten haben sich dann auf alle Fälle "gelohnt": sie sind ja für den edlen Zweck gefallen, den Krieg abzukürzen, weiteres "menschliches Leid" einzusparen.
Allenfalls könnte, und zwar jeder der beiden Seiten, der gemeinsame Hauptverbündete einen Strich durch diese Rechnung auf den Endsieg - oder die totale Niederlage - machen. Dann nämlich, wenn ernstlich die USA ihr Interesse an schlagkräftigen Verbündeten in Westeuropa wie Südamerika in Mitleidenschaft gezogen sähen. Wenn das Schiffeversenken an die Herzstücke der britischen Flotte ginge oder die britische Bombenlast auf argentinische Festlandstützpunkte fiele, an denen die Führungsmacht der westlichen Welt ein Interesse hat. Denn das wäre ja noch schöner: Wenn dieser Krieg den Erfordernissen des Krieges ernstlich in die Quere käme.
2006-07-06 22:30:08
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answer #1
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answered by Anonymous
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